Am 12. Oktober vor 22 Jahren starb Matthew Shepard – verprügelt und zum Sterben zurückgelassen, weil er schwul war. Der Fall galt lange als Synonym für die tiefverwurzelte Homophobie in den USA und änderte sogar die Gesetze des Landes. War am Ende alles anders?
Am 6. Oktober 1998 lernte der 21-jährige Student Matthew Wayne Shepard in einer Bar Russell Arthur Henderson (21 Jahre) und Aaron James McKinney (22 Jahre) kennen. Die drei stiegen schließlich gemeinsam in den Pick-up der beiden Männer – laut McKinney habe Shepard sie gebeten, ihn nach Hause zu bringen. Dort kam er jedoch niemals an.
Die Freundinnen der Täter sagten später unter Eid aus, Henderson und McKinney hätten vorgehabt, einen Schwulen auszurauben. Laut Staatsanwaltschaft haben die beiden sich gegenüber Shepard als schwul ausgegeben, um sein Vertrauen zu gewinnen. Kurz nachdem Shepard in den Pick-up stieg, sollen sie angefangen haben, ihn zu verprügeln und auszurauben.
Mindestens 18 Mal sollen die beiden, vornehmlich McKinney, mit einem Revolver auf den Kopf ihres Opfers eingeschlagen haben. Schließlich fesselten sie ihn in einer ländlichen, verlassenen Gegend mit seinen Schnürsenkeln an einen Zaun und ließen ihn zum Sterben zurück. Es dauerte 18 Stunden, bis Matthew von Radfahrern gefunden wurde, die den an den Zaun Gefesselten zuerst für eine Vogelscheuche hielten.
Tränenspuren auf Matthews blutigem Gesicht deuteten darauf hin, dass er noch einmal wach geworden war – 18 Stunden später gab es jedoch keine Hoffnung mehr. Matthew wurde ins Krankenhaus von Fort Collins, Colorado gebracht, wo er 6 Tage später verstarb – ohne noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Die Täter, die Matthew eiskalt zum Sterben zurückließen, hatten seine Adresse herausgefunden und planten, sein Zuhause auszurauben – dazu kam es jedoch nicht. Vor Ort gerieten sie mit zwei Hispanics in Streit, woraufhin McKinney einem von ihnen mit derselben Waffe eine Schädelfraktur zufügte, mit der er auch Matthew verprügelt hatte. Als die Polizei ankam, flohen alle vier – Henderson konnte jedoch geschnappt werden. Die Beweise, die in seinem Wagen gefunden wurden, führten nach dem Auffinden von Matthew sehr schnell dazu, dass Henderson und McKinney verhaftet wurden.
Musste Matthew sterben, weil er schwul war?
Das Motiv der Tat bleibt widersprüchlich: Während der Gerichtsverhandlung versuchten die Täter sich mit verschiedenen Verteidigungsstrategien herauszureden – so nutzten sie erst die Gay Panic Defense, laut derer sie sich von Shepards Homosexualität bedroht gefühlt haben sollen. Später hieß es, sie hätten Shepard nur ausrauben und nicht töten wollen – seine Homosexualität habe, anders als seine körperliche Unterlegenheit, dabei keine Rolle gespielt.
Für die beiden ging es bei der Verhandlung um alles, denn die Todesstrafe stand im Raum. Am 5. April 1999 sagte Henderson als Teil eines Deals gegen McKinney aus, um sich zu retten – er wurde daraufhin zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt. McKinney wurde von der Jury des vorsätzlichen Mordes schuldig gesprochen – die Todesstrafe schien wahrscheinlich. Matthews Eltern, Judy und Dennis Shepard, sprachen sich jedoch entschieden dagegen aus. Sie wollten jemandem Gnade zeigen, der selber keine Gnade gekannt habe. McKinney erhielt schließlich dasselbe Strafmaß wie Henderson.
Judy Shepard (zw.v.l) und Barack Obama auf einem Empfang zur Unterzeichnung des Gesetzes - Foto: Flickr User The Leadership Conference on Civil and HumanRight Lizenz Creative Commons CC BY SA 2.0
Der Fall sorgte international für großes Aufsehen und stieß in den USA eine nachhaltige Diskussion über die tief in der Gesellschaft verwurzelte Homophobie an. Auch die Kultur- und Popwelt griff die Tat auf. Viele Künstler, darunter Elton John und Melissa Etheridge, widmeten dem Verstorbenen Songs. Romane, Filme, Theaterstücke und Kunstwerke wurden in der Folge von dem Verbrechen inspiriert. Am bekanntesten ist das Bühnenstück „The Laramie Project”, das von HBO 2001 in einen gleichnamigen Film adaptiert wurde.
Die Eltern von Matthew Shepard gründeten in der Folge ihres furchtbaren Verlustes die Matthew Shepard Foundation. Die beiden sind landesweit als Queeraktivisten bekannt und geachtet, sie setzen sich immer wieder vor allem für junge Mitglieder der LGBTIQ+-Community ein.
Kurz nach seinem 20. Todestag wurde Matthew eine große Ehrung zuteil: Seine Asche wurde am 26. Oktober 2018 in der Krypta der Washington National Cathedral beigesetzt. Der offen schwule Bischof Gene Robinson leitete den Gottesdienst. Ein schwuler Männerchor begleitete die bewegende Zeremonie, in deren Folge Matthew seine letzte Ruhestätte fand.
Viele Mythen ranken sich um den Fall: 2013 veröffentlichte der Journalist Stephen Jimenez das Buch „The Book of Matt: Hidden Truths About the Murder of Matthew Shepard“, in dem er die Behauptung aufstellte, Matthew und der angeblich bisexuelle McKinney hätten eine Affäre gehabt – die Tat habe zudem in Verbindung mit dem Crystal Meth Business gestanden. Matthew sei Drogendealer, und die Tat, wenn auch schrecklich, so doch kein auf seine Sexualität bezogenes Hassverbrechen gewesen.
Zustimmung und Widerspruch gingen nach Veröffentlichung des Buches Hand in Hand. Sowohl unter ehemaligen Freunden von McKinney und Henderson als auch unter am Fall beteiligten Polizisten gab es Fürsprecher und Gegner der Theorie. Einige Polizisten stimmten zu, es habe durchaus Hinweise darauf gegeben, dass es um Drogen gegangen sei, während andere Polizisten dies eindeutig abstritten.